Ein Gemälde wird lebendig
vom 23.09.2017
Aus Anlass des 300. Geburtstages Winckelmanns findet das fiktive Treffen jetzt tatsächlich statt: Am Sonnabend erwecken Einwohner der Gemeinde Bannewitz das Gemälde, das heute im Sitzungszimmer des Generaldirektors der Landesbibliothek in Dresden hängt, am Originalschauplatz zum Leben. Im Festsaal des Schlosses Nöthnitz werden allerdings nicht nur dreizehn, sondern sogar sechzehn aufwendig kostümierte Figuren auftreten, der Maler des Bildes ist mit dabei – und zwei Schokoladenmädchen lockern die Männerrunde auf.
Irmela Werner, die Leiterin der Musik-, Tanz- und Kunstschule Bannewitz, hatte die Idee zu der außergewöhnlichen Aktion. Sie fand auch sofort begeisterte Partner wie Gisela Donath, die nicht nur eine Schulfreundin Irmela Werners ist, sondern in Bannewitz über viele Jahre mit Schülern der Musikschule Musicals und Theaterstücke inszenierte. Sie führt bei der szenischen Bildnachstellung Regie. Das Buch dafür schrieb der Publizist Klaus-Werner Haupt, der 2014 ein Standardwerk über Winckelmann veröffentlicht hat. Und weil der Nöthnitzer Schlossherr Jan David Horsky selbst Musikschüler in Bannewitz war, ließ er sich nicht lange bitten, den Saal für das Ereignis zur Verfügung zu stellen.
Einige textliche Ergänzungen stammen von Gisela Donath und vor allem von Jürgen Voitel, der als Bibliothekarius Michael Francke der eigentliche Hauptdarsteller des Geschehens ist. Er nämlich brachte den Stein überhaupt ins Rollen: Winckelmann kündigte in einem Brief an Francke seinen Besuch in Nöthnitz für den April oder Mai 1768 an, bat aber um strikte Geheimhaltung seiner Reisepläne. Francke allerdings ließ das Schreiben in der Bibliothek liegen, wo es Heinrich von Bünau las und nichts Eiligeres zu tun hatte, als die Gelehrten aus dem Dresdner Umland einzuladen.
Wahr an dieser Geschichte ist nur eines: Der Brief Winckelmanns an Francke, den hat er tatsächlich geschrieben, und zwar am 23. März 1768 in Rom. Jürgen Voitel fand ihn nach langer Recherche im Internet, auf einer Seite der größten New Yorker Bibliothek. Überhaupt hat sich der 68-jährige Ingenieur, der viele Jahre bei der Telekom in Dresden war, intensiv mit Francke und seinem Verhältnis zu Winckelmann befasst: „Das war eher distanziert. Von Freundschaft konnte keine Rede sein.“
Nöthnitz spielte für Winckelmanns Karriere eine entscheidende Rolle, er war dort ab 1748 einer von Bünaus Bibliothekaren und unterstützte ihn bei seinem Werk über die deutsche Kaiser- und Reichsgeschichte. Mit einem kursächsischen Stipendium ging Winckelmann schließlich nach Rom, 1763 ernannte ihn Papst Clemens XIII. zum Oberaufseher über die Altertümer des Kirchenstaates. Winckelmann schrieb Aufsätze und Bücher über das Altertum, seine Wirkung auf das europäische Geistesleben war immens.
Winckelmann ist nie wieder in Nöthnitz gewesen. Er startete zwar zu seiner Reise in den Norden, kehrte aber in Regensburg wegen schwerer Depressionen um. Eine schicksalsschwere Entscheidung: Am 8. Juni 1768 wurde Winckelmann in Triest Opfer eines Raubmordes. Am Sonnabend wird er in Nöthnitz noch einmal lebendig, allerdings anders gekleidet als auf Oers Gemälde. Winckelmann tritt so auf, wie ihn Anton von Maron in Rom kurz vor seinem Tod porträtierte: Im edlen Hausmantel und mit einem Turban auf dem Kopf. Der 26-jährige Bannewitzer Student Paul Richter wird als Winckelmann schließlich den Apoll vom Belvedere gar als „göttliches Haupt“ preisen.