Musikinstrumente sollen verbinden

vom 17.02.2017

Zigeunerviertel Tranzit am Sonntag, den 19.Februar

Wir blicken um 08:30 in lachende Kinderaugen. Die Kinder geben uns als Dankeschön für die überbrachten Musikinstrumente ein Konzert. Sie singen mit Eva, der Jesuiten-Volontärin, die sich um sie kümmert und die als Dank dafür von ihnen jedes Mal mit „Eva! Eva! Eva!“ Sprechchören empfangen wird. Berat, der kosovarische Chorleiter begleitet sie auf einem kleinen Keyboard, das es schon vor der Spendenaktion gab. Sein Lohn dafür, dass er jeden Nachmittag für anderthalb Stunden nach Tranzit zum Musikunterricht kommt – ihr erratet es – lachende Kinderaugen.

Der 25 Jahre junge Pater Moritz Kuhlmann, SJ machte sich voriges Jahr in das Viertel Tranzit – unweit des Loyola Gymnasiums in Prizren – auf, um hier im südlichen Kosovo „Brücken zu bauen“. Die Bewohner von Tranzit sind Ashkali, die sich gemeinsam mit Balkan Ägyptern und Roma zur Gruppe der Zigeuner zählen. Die Gräben, die in den kriegerischen Auseinandersetzungen geschaffen wurden, sind tief. Während Zigeuner immer wieder zur ungewünschten Minderheit zählen und großen Benachteiligungen ausgesetzt sind, greifen im Kosovo tiefliegende Vorurteile. Die Lebensumstände sind einfachst und bedrückend. Während ich vor dem Konzert im Schneegestöber in meinen Halbschuhen friere, stapft ein fünfjähriger Bub in Badeschlapfen durch den Schnee.

Gleich nachdem Moritz Kuhlmann der Umfang der Aufgabe, der er sich in Tranzit gestellt hatte, klar wurde, besuchte er Pater Georg Sporschills Projekt Elijah in Rumänien, um sich Anregungen zu holen und von den gemachten Erfahrungen zu profitieren. Schließlich wurde in Rumänien schon seit einigen Jahren ein Zusammenleben mit Roma auf Augenhöhe praktiziert und es wurden Schritt für Schritt wichtige Verbesserungen der Lebensumstände erreicht. Eben dort traf Moritz auch auf die Klasse von Frau Prof. Mitlöhner aus Kalksburg und erzählte ihr von Tranzit und seinem Vorhaben das Musizieren beim „Brückenbau“ einzusetzen. Motiviert von den Erfolgen des Musizierens in Rumänien – es schafft dort einen Anreiz für die Kinder in die Schule zu kommen, bietet einen neutralen gemeinsamen Raum für Begegnung und gibt den Menschen ihre Würde zurück – fasst Moritz den Entschluss das Musizieren auch beim „Brückenbau“ in Tranzit einzusetzen.

Und dann beginnt das „Netzwerk“ zu arbeiten: Petra Mitlöhner erzählt Katja Schnell von Moritz Kuhlmann und die macht ihrem Nachnamen alle Ehre und stellt schnell eine Spende von Musikinstrumenten samt Logistiklösung auf die Beine. Neben den Eltern aus der Schule und vielen anderen spendet auch Prof. Meilinger sein geliebtes Cello, nachdem er es altersbedingt nicht mehr spielen kann – weil er weiß, dass es hier in guten Händen ist! Gemeinsam mit einer großen Sammlung, die aus Bannewitz und Köln eintrifft (Dank dafür an Patricia Siegert, Irmela Werner und Viola Metz)

Und dann beginnt das „Netzwerk“ zu arbeiten: über die Kontakte von Pater Georg Sporschill zu Katja Schnell vom Kollegium Kalksburg in Wien, über Patricia Siegerts Musikschule MTK Bannewitz und ihre ehemalige Musiklehrerin Viola Metz (inzwischen in Köln) werden in Deutschland und Österreich tolle Spenden gesammelt. So kommen etwa 150 Musikinstrumente von Blockflöten über Geigen bis Klavieren zusammen, sogar ein komplettes Schlagzeug ist dabei. Aufgrund der heiklen Musikinstrumente beschließen wir die 800 kg in einen Klein-LKW zu laden und persönlich nach Prizren zu fahren. Das wird zwar eine lange Fahrt, aber schließlich freuen wir uns auf die Begegnung mit den Menschen aus Tranzit.

Nachdem Serbien die Abtrennung des Kosovo noch immer nicht anerkannt hat, lege ich die Route sicherheitshalber über Mazedonien an, da an der Grenze Serbien-Kosovo die Serben alles Erdenkliche unternehmen, um den Verkehr zu behindern. Alle Zollformalitäten bis in den Kosovo sind geklärt, aber da die serbischen Zollbeamten die Arbeit an der ungarischen Grenze von 23:00 bis 04:00 Uhr früh einstellen, verspätet sich unsere geplante Ankunft an der Grenze zum Kosovo.

Dort wartet nicht nur Moritz auf uns sondern auch Pal, der rechtsfreundliche Vertreter des Loyola Gymnasiums, der als schlauer Fuchs weiß, wie man sich im kosovarischen Zoll bewegen muss, um eine Zollfreischreibung für Hilfsgüter zu erwirken. Die Verzollung dauert keine Stunde und kostet uns keinen Cent – bravo Pal!

Müde kommen wir in Prizren an. Jeder von uns, Katja Schnell, Romedius Mitterschiffthaler und ich, ist seine Teilstrecke gefahren, aber schließlich sind seit unserer Abfahrt am Freitag in Wien beinahe 24 Stunden vergangen, in denen wir nur im Auto geschlafen haben.

Im Regen begrüßt uns eine Menge jugendlicher Ashkali, die gekommen sind, um beim Ausladen der schweren Klaviere zu helfen. Emran, einer von ihnen, hält eine Begrüßungsrede, die Moritz Kuhlmann für uns übersetzt: „Mit viel Geduld haben wir Euch und die Instrumente erwartet“. Schon beim Zoll ist uns aufgefallen, dass Moritz scheinbar fließend albanisch spricht, obwohl er doch erst letztes Jahr damit begonnen hat. Ebenfalls dabei sind die Volontäre Eva und Patricia, die für uns ein Willkommens-Gebäck bereitet hat, Viola Metz und Pater Axel Bödefeld, SJ, der Direktor des Loyola Gymnasiums.

Nachdem alle Musikinstrumente entladen sind, haben wir etwas Zeit, um mit Pater Axel Bödefeld und Pater Moritz Kuhlmann bei einem Abendessen zu plaudern. So erfahren wir, dass Axel Bödefeld als junger Priesteramtskandidat über die Wiener Sozialarbeit von Georg Sporschill in den Jesuitenorden fand – so schließen sich die Kreise. Einmal mehr begeistert mich Moritz Kuhlmann. Er ist noch sehr jung, aber sein Enthusiasmus steckt an. Seine Worte sind mit Bedacht gewählt und verfehlen ihren Zweck nicht.

Und dann nach einer erholsamen Nacht im Loyola Gymnasium in Prizren, fahren wir nach einer kurzen Morgenmesse mit Pater Axel Bödefeld, Pater Moritz Kuhlmann, einigen Schwestern die im Internat arbeiten, und allen Besuchern zum Konzert des Kinderchors aus Tranzit. Es sind gerade Semesterferien im Kosovo und trotzdem ist auch ein Schüler aus dem Loyola Gymnasium da, der sich besonders engagiert einsetzt und mit den schwierigsten Kindern aus Tranzit lernt. Er kommt aus Krushë, dem „Dorf der schwarzen Witwen“, in dem die Serben im Krieg an nur einem Tag hunderte Menschen ermordet haben – übrig geblieben sind nur die Frauen. Auch aus Premtons Familie gab es viele Opfer. Von seinen drei Sonderschülern ist einer geistig behindert, weil er als Kleinkind von Serben misshandelt wurde. Den Zigeunern wird allgemein vorgeworfen, an der Seite der Serben gemordet zu haben. Premton überwindet diese Mauer.

Ich möchte Contenance bewahren und kämpfe mit den Tränen, die meiner Rührung über das Gehörte und Erlebte Ausdruck verleihen möchten. Es gelingt mir nicht ganz – schließlich sind die Kinder in ihrer offenen Art überwältigend und es wird klar, dass die Spenden ihre Wirkung erzielen werden. In einem Ausmaß, das ich nicht erahnen konnte!

Bravo Moritz ! Du nutzt deine Möglichkeiten, dein Netzwerk, deine Fähigkeiten und deine Instinkte perfekt. Du begeisterst und steckst an! Du schaffst damit eine Umgebung an Helfern, die Dinge leisten, die ein einzelner nicht zu leisten vermag – weiter so!

Paul Glaser, Wien

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